Anja Baumheier: Die Erfindung der Sprache

Anja Baumheier Die Erfindung der Sprache

Adam Riese ist der Held dieses Romans, aber er ist nicht der Rechenmeister Adam Riese (der eigentlich Adam Ries hieß). Zahlen mag er trotzdem, zumindest spielt die sieben eine besondere Rolle für ihn. Er schreibt gerne Listen und die sollten möglichst sieben Punkte haben – nicht mehr und nicht weniger. Aber eigentlich ist unser Adam Sprachwissenschaftler und lehrt an der Uni in Berlin. In die deutsche Hauptstadt kam er von einer kleinen ostfriesischen Insel, Platteoog. Hier war er nicht nur von einer liebevollen kleinen Familie umgeben (ganz besonders die tschechische Großmutter hat sich viel um ihn gekümmert), praktisch alle Inselbewohner waren und sind eine erweiterte Familie für ihn.

Doch so idyllisch das alles auch andeutet, das ist es nicht. Denn Adam mutet zumindest leicht autistisch an und bewegt sich nur in seinem gewohnten Umfeld heimisch. Unerwartetes löst Panik in ihm aus. Sein Vater, Hubert, hat die Familie vor Jahren verlassen, keiner weiß, ob er noch lebt. Sein Weggang stürzte Adams Mutter in eine tiefe Trauer, sie spricht seitdem nicht mehr. Die Großmutter hat in 50 Jahren nicht gelernt, richtig Deutsch zu sprechen, ihre fehlerhafte Sprache scheint aber keine Rolle zu spielen.

Als ein Buch mit dem Titel „Die Erfindung der Sprache“ erscheint, gerät plötzlich alles in Bewegung. Ist Adams Vater noch am Leben? Wenn ja, wo ist er? Und warum hat er seine Familie verlassen? Das Unerwartete bringt alle in Aufruhr, vor allen anderen Adam, der sich auf den Weg macht, um seinen Vater oder zumindest seine Spuren zu finden. Kein leichtes Unterfangen in seiner Kondition.

Der Roman erzählt parallel die Geschichte der Familie in die Vergangenheit zurückblickend und Adams Reise heute. Dieses parallele Erzählen ist ein wiederkehrendes Motiv bei der Autorin. Anja Baumheier reiht in diesem Buch aber eine besondere (und mit wenigen Ausnahmen liebenswerte) Figur nach der anderen, gerade die Einwohner von Platteoog wachsen einem schnell ans Herz. Auch wenn sich nicht alles erklären lässt (warum spricht die Großmutter bis heute so schlecht Deutsch, wenn sie doch von Muttersprachlern umgeben ist? warum muss man auf einer Reise eine Katze mitschleppen?), macht das Buch – vielleicht gerade deshalb? – viel Spaß. Es passiert viel und durch die vielen Figuren wirkt das Ganze teilweise etwas chaotisch, doch jede Figur hat auch eine eigene Art sich auszudrücken, was sie sehr schnell wieder erkennbar macht. Sprache ist das Mittel der Identifikation.

Obwohl Adams Reise (jetzt erst fällt mir auf, wie ähnlich Riese und Reise sich sind) – in geographischem und psychologischem Sinne – im Mittelpunkt steht, hat mich am meisten Platteoog verzaubert. Eine winzig kleine Insel, deren Einwohner Adam praktisch als ihr eigenes Kind betrachten und alles tun, damit es ihm und seiner Familie gutgeht. Und das alles mit Nordsee und Leuchtturm! Was kann man sich denn mehr wünschen? Vielleicht weitere Geschichten von dieser Insel.


Diverses

Herzlichen Dank an dieser Stelle an den Rowohlt Verlag für das Rezensionsexemplar.

Der erste Satz:

Der Elfer war bereits einhundertdreiundachtzig Sekunden zu spät.

Impressum:

Autor: Anja Baumheier
Titel: Die Erfindung der Sprache
Seitenzahl: 496
Verlag: Kindler
Erschienen: 2021
© Rowohlt Verlag

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