Lloyd Spencer Davis: Das geheime Liebesleben der Pinguine

Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich über dieses Buch schreiben soll. Nicht, weil es mir nicht gefallen hat, ich stelle hier immer wieder mal Bücher vor, die mich nicht begeistern konnten. Doch dieses Mal habe ich das Buch nach etwa 150 langen Seiten tatsächlich abgebrochen. Das ist nicht ganz die Hälfte, und es ist vielleicht nicht fair, so ein Urteil zu fällen. Trotzdem habe ich mich am Ende dazu entschlossen, über dieses Leseerlebnis zu berichten, einfach weil es mich nicht losgelassen hat.

Auf den ersten Blick klingt dieses Buch ausgesprochen interessant: Der Pinguinforscher Lloyd Spencer Davis macht einzigartige Beobachtungen, was das Liebesleben der Pinguine angeht. Er beobachtet sie bei ihren Paarungsritualen und stellt dabei fest, dass das Sexualverhalten dieser Tiere sehr viele Ähnlichkeiten zu dem der Menschen aufweist, in dem es immer wieder zu gleichgeschlechtlichen Paarungen und auch zu anderen, sonst nur bei Menschen beobachteten Praktiken kommt. Nachdem er bereits seine Erkenntnise publiziert hat, entdeckt er zufällig die Aufzeichnungen eines früheren Forschers, George Murray Levick. Dieser war hundert Jahre vor Davis in der Antarktis unterwegs. Mit nicht geringerem als dem legendären Polarforscher Robert F. Scott. Während Scott als erster den Südpol zu erreichen versucht hat, blieb Levick zurück, um die Pinguine zu studieren. Was er gesehen hat, konnte oder wollte er zur damaligen Zeit nicht öffentlich machen, denn darüber zu schreiben, dass Homosexualität in der Natur vorkam, damals, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, kein Thema war, worüber man öffentlich sprechen konnte.

Nun ist Davis natürlich wie vor den Kopf gestoßen, dass er nicht als Erster diese Entdeckung gemacht hat, und möchte mehr über Levick erfahren. Das ist grob zusammengefasst die Ausgangssituation des Buches, wobei es nicht wirklich einfach ist, festzustellen, worüber Davis schreiben möchte und was ihn daran so aufregt, dass Levick ihm zuvorgekommen ist. Denn das ist in der Geschichte schön öfter passiert – und immerhin hat Levick seine Entdeckung verheimlicht, Davis kann sich also auch nichts vorwerfen. Jedenfalls ist unser Autor sehr aufgeregt, anders lässt es sich nicht erklären, warum er immer wieder vom Thema abschweift und in die Länge gezogen über Polarforscher erzählt, die gar nicht mit der eigentlichen Geschichte zu tun haben. Denn hier kommt wirklich alles und jeder vor, neben der Antarktis auch die Arktis, denn Davis muss natürlich über die unglückselige Reise der Terror und der Erebus erzählen (wer aber darüber mehr erfahren möchte, sollte lieber dieses Buch lesen). Das aber wäre noch verzeihlich, denn über Polarforscher lese ich sehr gerne, allerdings hat Lloyd Spencer Davis ein besonderes Interesse am Aussehen dieser Forschungsreisende. Wenn einer von ihnen attraktiv war, dann werden wir das von Davis mit Sicherheit erfahren. Außerdem hält er es für besonders wichtig, uns mitzuteilen, wer wann geheiratet hat (oder eben nicht geheiratet hat), wer wann betrogen wurde und warum es Polarforscher, die es in den Norden zog, besser hatten, als die, die im Süden unterwegs waren: Im Norden hatten sie ja Begegnungen mit den Einheimischen (sprich Frauen). Aber ich lasse jetzt mal den Autor sprechen:

Während Fridtjof Nansen wie von Eivind Astrup vorgemacht mit Hundeschlitten und Skiern zum Nordpol unterwegs ist, hat dieser angeblich eine Affäre mit Nansens Frau Eva. Amouröse Eskapaden sind offenbar nicht das ausschließliche Vorrecht der Pinguine.

Seite 54

Amundsen braucht gar keine viktorianische Prüderie, um seine Sexualität zu unterdrücken – er scheint gar kein Interesse an ihr zu haben.

Seite 55

Tatsächlich fragt sich Davis immer wieder, wie es diesen Männern auf ihren langen Reisen ergangen ist, ohne Frauengesellschaft, und warum kein Wort über Sex in den Forschungsberichten steht. Er scheint dabei sein eigentliches Forschungsgebiet (zur Erinnerung, das sind die Pinguine, von denen hören wir reichlich wenig im Buch) ganz zu vergessen.

Ich wünschte, ich könnte meine Generatorkiste so aufstellen, dass ich aus meinem Unterstand heraus Levick und die anderen Polarforscher beobachten könnte. Ihr Balzverhalten wäre sicher nicht weniger faszinierend als das der Pinguine.

Seite 108

Ab diesem Punkt musste ich mich sehr zusammenreißen, um weiterzulesen, bin aber nicht mehr viel weiter gekommen. Viel braver war da eine Bloggerin, die ich schon lange bewundere, jetzt aber ganz besonders. Wer also neugierig ist, ob dieses Buch in der zweiten Hälfte besser wird, sollte unbedingt Petras Beitrag dazu lesen.


Diverses

Vielen Dank an dieser Stelle an das Bloggerportal für das Rezensionsexemplar.

Der erste Satz:

Man kann durchaus den Eindruck bekommen, dass die Natur nicht nur blutige Zähne und Klauen hat, wie der englische Dichter Alfred Lord Tennyson sagt, sondern dass sie insgesamt eine reichlich blutrünstige Angelegenheit ist, zumal wenn es um die Fortpflanzung geht.

Impressum:

Autor: Lloyd Spencer Davis
Titel: Das geheime Liebesleben der Pinguine
Übersetzung aus dem Englischen: Jürgen Neubauer
Seitenzahl: 384
Verlag: DVA
Erschienen: 2021
© Deutsche Verlags-Anstalt

2 Responses

  1. Es ist absolut nachvollziehbar, dass du die Lektüre abgebrochen hast, liebe Esther. Und ich finde es prima, dass du das hier so ausführlich begründest. Alle von dir genannten Punkte haben auch mich gestört, aber mit Mühe und Not habe ich mich in die 2. Buchhälfte gerettet. Vielen Dank fürs Verlinken und herzliche Grüße!
    Petra

    Like

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..